Bericht der Frankfuter Rundschau, 03.12.2011, Georg Leppert
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Schule für die Bütt
Die Pausen richtig setzen, damit die Zuschauer in Ruhe lachen und applaudieren können – Karl Oertl erklärt in seiner Schule, wie eine Büttenrede zum Erfolg wird.
Es hat Günter getroffen. Er muss jetzt nach vorne, so hat es der Lehrer entschieden. Die ganze Klasse schaut ihn an. Mit Sicherheit gibt es angenehmere Situationen. „Bitte“, sagt der Lehrer. Günter fängt an. Es läuft gut. Bis zur Passage „Natürlich willkommen auch Sie, meine Herr’n, Euch zu vergessen, das läge mir fern.“ Da gerät Günter ein wenig ins Stocken. Der Lehrer macht ein Gesicht, wie es ein Lehrer machen muss, wenn ein Schüler dreimal hintereinander die Hausaufgaben vergessen hat.
Dennoch sagt er am Ende: „Der Günter hat das gut gemacht.“ Günter ist erleichtert, die Klasse applaudiert, er setzt sich. Karl Oertl, der Lehrer, nickt ihm noch einmal zu.Mit Nachnamen heißt Günter, dessen Schulzeit schon geschätzte 30 Jahre zurückliegt, Petzschner. Aber Nachnamen tun im Clubraum 2 des Bürgerhauses im Nordwestzentrum nur wenig zur Sache.
Die Position im Verein zählt da schon mehr. Günter Petzschner ist Vorsitzender des Carneval- und Tanzsport-Clubs Die Krätscher 1960 Frankfurt/Eckenheim. In der Hierarchie der Frankfurter Fassenacht steht er damit ziemlich weit oben.
Ein Vorsitzender muss gut reden können. Zumindest, wenn er wie Günter Petzschner auch noch das jährliche Protokoll auf der Karnevalssitzung vorträgt. Deshalb hat er sich für die Rednerschule angemeldet. Die wird geleitet von Karl Oertl, dem mit Abstand bekanntesten Fastnachter in Frankfurt.
An diesem Abend steht Rhetorik auf dem Programm. Es geht um die Begrüßung zu Beginn einer Sitzung und die Ankündigung von Büttenreden. Das Ambiente im Bürgerhaus hat herzlich wenig mit Karneval zu tun – sieht man von der Bütt ab, die zu Schulungszwecken genutzt wird. Weder Oertl noch die Kursteilnehmer sind verkleidet, an den Wänden hängen keine Girlanden und keine Luftschlangen, draußen strahlen die Weihnachtsbeleuchtung des Nordwestzentrums und das goldene M einer Fast-Food-Kette. Es fällt schwer, in dieser Umgebung an Helau und Uff-Tä zu denken. „Aber wir sind zum Arbeiten hier, nicht zum Feiern – auch wenn wir viel lachen“, sagt Oertl. Auf den Tischen, an denen seine sechs Schüler sitzen, liegen Aktenordner – voll mit Unterrichtsmaterial des viermonatigen Kurses.
Nicht ohne Improvisation
Patrick Fiederer ist dran. Der neue Sitzungspräsident der Buschspatzen in Mörfelden-Walldorf ist ein Mann von beeindruckender Leibesfülle und mit entsprechendem Volumen in der Stimme. Manchmal spricht er bei seinen Reden so laut, dass der Mikrofonpegel übersteuert, aber das sei in Ordnung, sagt Karl Oertl: „Ein guter Tontechniker bekommt das hin.“ Überhaupt ist es ihm wichtig, dass sich ein Sitzungspräsident Gehör verschafft, dass er kraftvoll und wuchtig auftritt.
„Wenn ein Präsident nicht weiß, ist er’n Weichei oder ist er keins, dann kann es Schwierigkeiten geben, dann beginnt im Saal das Getuschel, und keiner konzentriert sich mehr.“ Fiederer ist der Musterschüler im Kurs. Auch die heutige Aufgabe bewältigt er gekonnt. Er muss sich vorstellen, er begrüße die Gäste einer Prunksitzung. Zunächst gilt es, einen von Oertl geschriebenen Text vorzutragen, aber an einer Stelle muss Fiederer improvisieren und sich im Saal eine Person ausgucken, um sie gesondert zu begrüßen. „Das schafft Aufmerksamkeit“, sagt Oertl.
Fiederer sagt seinen Text auf – so laut, dass auch die Leute im Clubraum nebenan etwas davon haben – um schließlich an der entscheidenden Stelle einzufügen: „Und ich begrüße hier vorne die Stadträtin und ihre Frau.“ Seine Mitschüler kichern. „Wir sind ja modern“, sagt Fiederer.
17 Jahre ist es her, dass Oertl die Rednerschule gründete. Damals arbeitete er bei der Saalbau und nutzte seine Kontakte, um Räume zu organisieren. Viele Hobby-Karnevalisten glaubten, es sei keine große Sache, eine Rede zu halten. Die meisten von ihnen scheiterten kolossal und verlören die Lust an der Fastnacht. Schlimm sei das, findet Oertl. Er hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, „die Leut’ fit zu machen für die Bühne“.
Aber nicht alle Leut’. Manchmal ist auch Oertl mit seinem Latein am Ende, es gibt hoffnungslose Fälle. „Ein Büttenredner muss extrovertiert sein, muss sich ausdrücken wollen.“ So wie eben Patrick Fiederer. Diejenigen aber, die durch seine Schule gingen, profitierten davon – nicht nur in Sachen Karneval, verspricht der Lehrer. Oft arbeite er mit Kindern, die nach seinem Kurs im Schulunterricht ganz anders aufträten. Viel selbstbewusster. Die mündliche Note verbessere sich fast immer.
Es sind Tipps aus vielen Jahrzehnten karnevalistischer Erfahrung, die Oertl im Bürgerhaus weitergibt. Die Pausen richtig setzen, damit die Zuschauer in Ruhe lachen und applaudieren können. Zu jeder Büttenrede die richtige Gestik und Mimik. Keine Laute verschlucken, keine hinzufügen. „Und diese Mädchen nicht zu sehen, wäre vor Gott Jokus ein Vergehen“, ruft Udo Leib, ein Kursteilnehmer aus Rheinhessen, im Hauptberuf Winzer. In Wahrheit heißt es aber: „… wär’ vor Gott Jokus ein Vergehen …“ Sonst holpert das Versmaß, und die ganze Begrüßung geht den Bach runter.
Mit eigenen Fehlern spielen
Vor allem aber müsse ein Redner improvisieren können, sagt Oertl. Jeder könne sich mal versprechen. Dann gebe es zwei Möglichkeiten: „Entweder macht ihr weiter, einfach weiter.“ Oder aber: „Ihr fangt an, über den Fehler zu lachen, aber dann muss der Saal mitlachen.“ Für Anfänger eigne sich eher die erste Variante.
Die Doppelstunde in Clubraum 2 neigt sich dem Ende zu. Jutta Eichler von der Schwarzen Elf Neu-Isenburg bekommt noch gesagt, dass sie mit ihren Reden nicht sofort anfangen soll, wenn sie in der Bütt steht: „Erst ein Blick übers Publikum – das sorgt für Ruhe und Aufmerksamkeit“, sagt Oertl. Grundsätzlich ist er mit seinen Schülern aber sehr zufrieden. Deshalb will er sie demnächst auch ins kalte Wasser werfen. Am 1. Februar (Nordwestzentrum), 7. Februar (Bürgerhaus Bornheim) und 8. Februar (Bürgerhaus Harheim) tritt die Rednerschule auf. Beginn ist jeweils um 15.11 Uhr.